Spätwerk 1997-2010

Die künstlerische Freiheit des Endes

 

Nach Abschluss der Auftragsarbeit für den Turm der St. Matthäus-Kirche in Berlin, nahm Breitling kein größeres Projekt mehr in Angriff. Ihr Spätwerk ist durch eine ungewohnte Leichtigkeit gekennzeichnet, die sich sowohl in ihren Bildthemen als auch in den von ihr verwendeten künstlerischen Techniken zeigt. Es ist zu spüren, dass sie in ihrem Spätwerk, losgelöst von äußeren und inneren Zwängen, das machte, was ihr gefiel.

 

Als Autorin hat sie eine solche Freiheit des künstlerischen Spätwerks bereits 1986 beschrieben: „Doch stellen wir uns zum Schluss noch einmal die Künstlerin Y in ihrem Atelier vor, die nun, schon über 60, ihre Bilder betrachtend erkennt, dass es für sie keinen „Durchbruch“ mehr geben wird, dass sie gescheitert ist und keine Lebenslüge dies mehr verbirgt, und wie sie von „Nichts“ umringt ist, dem Nichts ihrer Vergangenheit und dem ihrer nur noch kurzen Zukunft. In der Erkenntnis nichts mehr zu verlieren und nichts zu erwarten zu haben, nichts zu sein und niemandem mehr gefallen zu müssen, erlebt sie endlich Freiheit, aber eine ganz andere als die, nach der sie so lange auf der Suche war. In dieser Gewissheit fängt sie noch einmal mit der Malerei an, in der sie jetzt von nichts anderem mehr reden kann als von dem Nichts mit dem sie es zu tun hat.“

 

Das sind einerseits die von ihr immer wieder variierten Stillleben, in denen sie ihr malerisches Gespür und Geschick unter Beweis stellt. Es sind die Dinge an sich: Metallschalen, Tassen, Teller, Messer, Früchte, Tücher, Tische, Körbe, die Breitling in ihrer Materialität faszinieren und die sie mit hoher Sensibilität für Farbigkeit und deren Harmonien inszeniert und darstellt.

 

Das sind andererseits ihre ungewöhnlichen Aktdarstellungen, in denen sie Frauen – auch Freundinnen – in intimen Posen porträtiert. Sie kommt ihnen dabei sehr nahe und nutzt dazu häufig Pastellkreiden, die ein spontanes Arbeiten auf großem Format ermöglichen. Die Pastellkreiden lassen zeichnerischen Duktus mit Farbintensität zusammenfließen: das sind Qualitäten, die der außerordentlichen Zeichnerin Gisela Breitling die Chance geben, Prachtentfaltung ohne malerische Mühsal zu zelebrieren.

 

In der Zeit ihrer immer schwerer werdenden Demenzerkrankung, die sie schließlich dazu zwingt, ihre künstlerische Arbeit ab 2010 vollständig einzustellen, malt sie noch einmal drei Frauenporträts, mit denen sie sich auf Vorkämpferinnen der Frauenbewegung bezieht.

 

Dies sind Emily Wilding Davidson, eine englische Suffragette, die aufgrund ihrer Aktionen mehrfach ins Gefängnis kam und auf dem Epsom Derby 1913 getötet wurde. Des weiteren Olympe de Gouges, jene französische Frauenrechtlerin, die für die neue Verfassung der französischen Republik eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin verfasst hatte und in den Wirren der Nachrevolution auf dem Schafott hingerichtet wurde. Breitling hatte bereits 1970 eine Hommage an Olympe de Gouges gemalt und greift dieses Thema erneut am Ende ihres Lebenswerkes auf. Das dritte Porträt ist anonym, kann aber als ein letztes Selbstporträt Breitlings gelesen werden. Mit diesem Porträt reiht sich Breitling selbst in den Reigen dieser engagierten und mutigen Frauen ein. Eine gewisse Affinität zu dem in ihrem Frühwerk entstandenen Kassandrabildnis des Jahres 1970 ist dabei nicht zu verkennen.